
Einen Parforceritt durch das digitale Zeitalter unternahm kürzlich Interneterklärer Sascha Lobo in Frankfurt. Auf Einladung des Frankfurter Presseclubs sprach er im Exotarium des Zoos zwischen Pinguinen und Schildkröten (und Menschen) eine Stunde, 14 Minuten und 52 Sekunden lang über alles, was mit Internet und digitalem Wandel zu tun hat. Ich habe andächtig gelauscht und hier ein paar Punkte zusammengefasst.
Den Podiumstalk mit Sascha Lobo haben Corina Socaciu (Frankfurter Rundschau) und Nils Bremer (Journal Frankfurt) geführt. Damit Ihr leichter findet was Euch interessiert, habe ich nach Stichpunkten gegliedert. Tweets bei Twitter unter dem Hashtag #FPCNetz.
Wen es gar nicht interessiert, wer von Lobo schon alles gelesen und gehört hat oder wer seine gefestigte Meinung nicht gefährden will, der wird vielleicht hier glücklicher: Lobo spricht mit mir über Tiere.
Journalisten als Marke
Lobo: Diese Herangehensweise ist doch totaler Quatsch. Für einen normalen Journalisten ist es Unsinn, sich als Marke zu begreifen. Jeder, der Selbstständig ist und am Markt eine Leistung anbieten muss, was viele Journalisten ja sind, der kann natürlich Elemente der Markenkommunikation nutzen. Allerdings würde ich dringend davon abraten sich als Marke zu begreifen. Mit so jemand möchte man doch normalerweise nichts zu tun haben. Ich denke, Journalisten haben anderes und besseres zu tun, als sich über ihr Corporate Identity, ihr Logo oder ihren Markenauftritt Gedanken zu machen. Wenn eine Redaktion einen Journalisten beauftragt, dann doch wegen der Inhalte und nicht wegen seines Logos.
Sascha Lobo über Sascha Lobo
Lobo: Geld verdiene ich mit Vorträgen. Ich gehe auf die Bühne und erklärte für unfassbar riesige Summen Konzernen das Internet. Wenn zum Beispiel ein DAX-Unternehmen seine Vertriebsmannschaft mit 250 Leuten in ein Hotel einlädt, dann kostet die ganze Veranstaltung sowieso 450.000 Euro. Dann ist es völlig egal wie viel der Typ vorne kostet, der den Vortrag übers Internet hält. Das ist mein Job. Mit zwei Vorträgen im Monat bin ich komplett finanziert und kann den Rest der Zeit machen was ich möchte. Dabei bin ich auch eine Art Zivillobbyist, der für eine bessere digitale Gesellschaft kämpft.
Bücher online oder offline kaufen?
Lobo: Da bin ich nicht religiös. Obwohl ich gerade selbst mit Sobooks eine Online-Plattform als Konkurrenz zu Amazon aufbaue. Wie viele von uns habe ich bei der Frage zwei Ichs – ein berufliches und ein privates. Das berufliche Ich ist sauer, dass Amazon Geschäftspraktiken nahe an der Unseriosität entlang formuliert und durchführt. Das private Ich ist fasziniert von dieser extrem gut funktionierenden Maschinerie. Es gibt praktisch niemanden auf der Welt, der einen so guten Kundenservice hat wie Amazon. Das ist das Problem. Daher kaufe ich rund ein Drittel im Buchhandel in der Umgebung. Zwei Drittel bestelle ich mit einem Klick.
Trolle
Lobo: Ich müsste lange überlegen, um eine Plattform zu finden, auf der ich noch nicht getrollt habe. Aber was ist ein Troll? Der Internet-Troll ist ein sozialer Störkommunikator. Er möchte einfach nur nerven, zum Beispiel durch Selbstüberhöhung und Herabwürdigung von allen anderen. Das sind also die nervigen Kommentatoren, die beleidigen oder Streit vom Zaun brechen. Das Problem ist, dass in den meisten von uns ein Troll wohnt. Wir haben alle einen Troll-Anteil in uns. Wenn wir überlegen, was wir gegen Trolle in Foren tun können, hilft zunächst die Selbstbeobachtung.
Anonymität im Internet
Lobo: Anonymität ist im Internet zentral und ich halte es für ein Grundrecht, in der Gesellschaft anonym aufzutreten. Anonymität im Netz ist die Gewähr dafür, dass man bestimmte Grundrechte überhaupt erst ausüben kann. Häufig wird so getan, als gebe es eine natürliche Kausalität zwischen Pöbeleien, Hetze und Beleidigungen und der Anonymität. Das ist nicht so. Das hofft man, weil es eine einfache Lösung zu sein scheint. Klarnamen und dann ist das Problem gelöst. Nein. Das Problem ist weniger die Anonymität im Netz, als das, was sich Menschen unter Klarnamen zu sagen trauen. Der verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hatte das 2012 in einem Tweet auf den Punkt gebracht.
Nicht die Anonymität, sondern der ansteigende Grad der NICHT-anonymen Hass-Kommentare und -Mails, von Sarrazin bis Grass, ist beunruhigend.
— frankschirrmacher (@fr_schirrmacher) 7. April 2012
Da offenbart sich ein Mangel an zivilisatorischer Kraft, der mich wirklich erschüttert. Ich habe zum Beispiel den Screenshot einer Facebook-Gruppe von 2011 mit 10.000 Mitgliedern – die meisten unter Klarnamen –, die die Wiedereröffnung eines KZs fordern. Da erübrigt sich doch jede Diskussion über Anonymität, wenn sich Menschen unter Klarnamen trauen, so etwas zu fordern. Wie soll man da hoffen, dass die Abschaffung der Anonymität irgendetwas verbessert. Im Gegenteil: Diejenigen, die bedrängt werden, die unter den Anwürfen zu leiden haben, die werden durch Aufhebung der Anonymität massiv gefährdet. Sie bekommen ein Gesicht, sind auffindbar und stehen Leuten gegenüber, die sich durch einen gravierenden Mangel an Ethik und Moral alles trauen.
Sind Facebook und Google die zukünftige Weltregierung?
Lobo: Nein. Die Frage der Macht muss man stellen. Aber die Formulierung Weltregierung geht stark an der Realität vorbei. Wir brauchen eine politische Regulierung. Allerdings sehen wir davon nicht ansatzweise etwas am Horizont. Solche Formulierungen wie ´Wir müssen Google zerschlagen´ haben wenig mit der Realität zu tun und werden auch der Komplexität des Geschäftsmodells Google nicht gerecht. Ich kann vor jeder simpel anmutenden Lösung nur warnen. Und eine Dämonisierung ist einer differenzierten Lösung sehr abträglich. Schauen wir lieber wo ist die Macht von Google, wo ist sie akzeptabel, wo geht sie ins nicht akzeptable und wie können wir versuchen, die nicht akzeptablen Elemente so klein wie möglich zu halten. Ich würde zunächst verstörende Verträge wie das Safe-Habor-Abkommen aufkündigen. Darin geht es stark vereinfacht erklärt um Folgendes: Versichert mir eine Firma, dass sie sich in irgendeinem anderen Land an die Datenschutzbestimmungen hält, dann kann sie in Deutschland machen was sie will. Das ist eine ganz klare Umgehung der Gesetzeslage in Deutschland und der EU. Da ahnt man schon, dass das nicht zielführend ist.
Datenschutz
Lobo: Ich bin kein dogmatischer Datenschützer. Man kann auch nicht gegen Daten sein. Die ganze Wirtschaft und Gesellschaft geht in eine Datenrichtung. Vielmehr müssen wir Datensouveränität als Ziel haben.
Edward Snowden
Lobo: Ich bin sehr dankbar, dass Edward Snowden diese Enthüllungen gemacht hat. Ich warne aber vor einer Glorifizierung und Heldenverehrung der Person. So dankbar man ihm sein muss – er hat sich und sein Leben ja in gewisser Weise geopfert–, aber jede Bewegung weg von dem was er aufgezeigt hat und hin zu ihm, ist ein falsches Symbol. Darüber, dass die Bundesregierung Snowden kein Asyl gewährt hat, bin ich enttäuscht. Wirklich böse und empört bin ich aber über die Behinderung der Untersuchungsausschüsse bis hin zum Verhalten der Bundesregierung bei der massenhaften Handyüberwachung. Da ist man ja erst wach geworden und hat ´Stasi´ gerufen, als das Handy der Kanzlerin überwacht wurde. 80 Millionen Deutsche waren der Regierung bis dahin egal. Snowden ist ein Symbol, aber das müssen wir loslösen von den Enthüllungen und der Frage was danach passiert. Ich bin schon auf die Straße gegangen, um gegen die Massenüberwachung von uns allen zu demonstrieren. Ich weiß aber nicht, ob ich guten Gewissens Asyl für Snowden fordern kann. Das ist ja auch ein sehr angenehmes Symbol. Da kann man sich lange die Köpfe einschlagen und dann hat er Asyl, aber es hat sich letztlich nichts an der Sache geändert. Das ist der Punkt, wo Symbole gefährlich werden und ein Eigenleben entwickeln. Dann kämpft man für etwas, was am Ende nichts ändert.
Digitale Infrastruktur
Lobo: Die ist in katastrophaler Weise nicht Vorhanden.
Zeitungssterben
Lobo: Es wäre Unfug zu sagen, wann das letzte Buch oder die letzte Zeitung gedruckt wird. Leute, die davon Ahnung haben, sagen, das Zeitungssterben habe schon lange vor dem Internet angefangen. Schon Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre gehörte das Zeitungsabo nicht mehr automatisch zu einem jungen Familienhaushalt. Vielleicht durch das Radio. Vielleicht durch das Fernsehen. Ich kann das aber schwer beurteilen. Nur weil ich eine Expertise in der digitalen Vernetzung habe, heißt das noch nicht, dass ich weiß was diejenigen durchleiden, die davon betroffen sind. Ich bin nicht Experte für den Niedergang einer Zeitungswirtschaft. Aber man ahnt irgendwie, dass das Internet auch etwas damit zu tun haben könnte.
Refinanzierung von Journalismus
Lobo: Das Problem ist, dass noch nicht genau klar ist, was das Problem ist. Haben wir ein Journalismus-Problem? Haben wir ein Refinanzierungs-Problem. Oder haben wir beides. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint man sich auf Refinanzierungs-Problem geeinigt zu haben. Und nun haben wir den Fall, dass hauptsächlich Journalisten mit einer fachlichen Journalismus-Expertise darüber reden wie das Refinanzierungs-Problem gelöst werden kann, und vergleichsweise selten diejenigen, die Experten für Refinanzierung im Internet sind. Dabei trifft das Refinanzierungs-Problem nicht nur den Journalismus, sondern ist für viele Kulturgüter im Internet ungelöst. Angesichts der Gesamtlage in der Medienwirtschaft ist es mir völlig verwunderlich, dass nicht noch mehr Leute ausflippen und ihre Tastaturen durch die Redaktion schmeißen. Ich würde das jedenfalls nicht aushalten, wenn ich sie wäre. Wenn ich heute eine Tageszeitung oder ein Internet-Magazin herausgeben würde, würde ich zuerst Milliardär werden und die Zeitung dann als Hobby machen. Das ist gerade ein funktionierendes Modell in den USA.
Paid Content
Lobo: Aus Sicht einer klassischen Zeitung wird es extrem schwierig, sich über Paid Content zu finanzieren. Möglicherweise war das noch nie so, dass die Leser rein für den Inhalt gezahlt haben. Ich glaube, ein Teil der Lösung liegt in der Zugehörigkeit zu einer Community. Es ist den Menschen etwas wert, zu einer bestimmten Gemeinschaft zu gehören und sich damit zu identifizieren. Allerdings wurde in der Vergangenheit auch so viel falsch gemacht, dass man erst mal wieder hoch auf Null muss, bis jemand denkt ´Wow, in einer Community vom Spiegel möchte ich sein´.
Digitale Zukunft
Lobo: In 20 Jahren ist das Internet gleichbedeutend mit der digitalen Gesellschaft. Es gibt heute schon zwei Arten von Menschen: Die, deren Leben vom Internet mitbestimmt wird und die, die nicht wissen, dass ihr Leben vom Internet mitbestimmt wird. Tiefe, Radikalität und die Wirkung der digitalen Vernetzung auf den Alltag der allermeisten Menschen werden heute schon unterschätzt. Wir werden bald eine Verschmelzung der digitalen und realen Welt erleben.
Feierabend
Lobo: Man muss lernen, mit der digitalen Welt so umzugehen, dass sie nicht maximal-invasiv in den eigenen Alltag eingreift. Wie schaffe ich es also, dass tatsächlich um 19 Uhr Feierabend ist und ich nicht noch von Mail-Benachrichtigungen oder Tweets etwas reingeschoben bekomme. Es sei denn ich will das. Die Grenze liegt also zwischen Suchtverhalten und freier Entscheidung. Die muss man finden.
#fpcnetz Danke an alle für die Teilnahme! pic.twitter.com/vyEgF4AOFJ — Corina S. Socaciu (@Journalistix) 31. März 2015
Aktuelle Beiträge in anderen Medien:
Sascha Lobo in der FAZ: Keine Anonymität ist auch keine Lösung
Sascha Lobo auf Spiegel Online: Warum die Vorratsdatenspeicherung immernoch Fans hat
Sascha Lobo auf Spiegel Online: Die verlogene Wut beim Posten
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[…] ist Sascha Lobo, der aber beruflich aus der Marketing-Ecke kommt. Über ihn habe ich im Blog schon hier (seriös) und hier (nicht ganz so seriös) […]