
Was macht das Internet mit dem Journalismus? Können Journalisten online Geld verdienen? Und warum soll ich mich als Journalist vermarkten? Diesen Fragen ging der Journalist, Moderator und Blogger Richard Gutjahr in Frankfurt auf den Grund. Er zeigte den Berufskollegen des Frankfurter Presseclubs Perspektiven, verteilte aber auch so manch bittere Pille. Tapio Liller moderierte. Kleines Fazit vorab: Kaum etwas wird im Journalismus so bleiben wie es ist. Es wird aber auch nicht alles schlechter. Vielleicht spannender.
Die Reputation eines Journalisten misst sich – neben der Qualität seiner Beiträge – im Onlinezeitalter nach der Anzahl seiner Follower bei Twitter, Facebook und YouTube. Bei Gutjahr sind das in der Summe 70.000 allein bei diesen drei Netzwerken. Das ist immerhin die Auflage einer mittelprächtigen Regionalzeitung. Der Social-Media-Schnellball-Effekt – der Freund vom Freund sieht, was dieser teilt, kommentiert und likt– ist da noch nicht einmal eingerechnet.
Wenn Gutjahr bei Facebook einen ausführlichen Kommentar schreibt, sagen wir mal zur Vorratsdatenspeicherung, dann lesen das binnen kurzer Zeit 150.000 Menschen. Zur Einordnung: Das entspricht in etwa der „ungeschönten Auflage der Süddeutschen Zeitung“ (Gutjahr).

Gutjahr hat als Einzelperson in der Zwischenzeit geschafft, wovon alle Medien träumen: Relevanz, Reichweite und Community. Mit seinem Schaffen hat er sich auch so etwas wie den Titel Internet-Erklärer erworben. Wobei es davon in Deutschland mindestens zwei gibt. Der andere ist Sascha Lobo, der aber beruflich aus der Marketing-Ecke kommt. Über ihn habe ich im Blog schon hier (seriös) und hier (nicht ganz so seriös) geschrieben.
Gutjahr ist Journalist und will es auch bleiben. Einen Teil seines Einkommens erwirtschaftet er aber auch als Moderator oder eben als Vortragsredner, wenn er Journalisten den Journalismus in Zeiten des Internets erklärt.
Was Richard Gutjahr bislang beruflich alles machte und macht, könnt Ihr bei Wikipedia nachlesen. Er geht übrigens davon aus, dass als Würdigung auf seinem Grabstein einmal stehen wird: „Er kaufte das allererste iPad“. Die Story: hier (kostenpflichtig).
Wenn Ihr den ganzen Abend im Kunstverein Familie Montez anschauen möchtet – voilà, unten gibt’s ein Video der Veranstaltung (1:27).
Für die, die’s kürzer mögen, habe ich hier ein paar Gutjahr-Thesen zusammengefasst. Widerspruch erwünscht!
@Gutjahr global: Wir haben den Medienwandel bislang zu blauäugig betrachtet. Wir dachten, es sei eine Krise, dabei ist es eine komplett neue Art und Weise wie wir leben, denken und arbeiten. Vergleichbar mir der Umstellung von der Agrar- auf die Industriegesellschaft. Nun sind wir im Wandel von der Industrie- in die Informations- und Digitalgesellschaft.
@Gutjahr über sich: Ich habe eine ganz klassische Laufbahn: Journalistenschule, Zeitung, Fernsehen. Aber irgendwann habe ich gemerkt, das geht nicht mehr lange gut. Das Fernsehen hat sein blaues Wunder noch vor sich. Die Musikindustrie hat’s schon erlebt. Die Printmedien erleben gerade das Vorbeben vor dem richtig großen Knall. Wenn Facebook in Zukunft Plattform, Vertrieb und Vermarktung für mich übernimmt, wozu sollte ich als Autor noch den Umweg über einen Verlag oder Sender gehen? Aus Sicht des Lesers sieht das ganz ähnlich aus.

@Gutjahr über Veränderung: Journalisten haben nicht nur die Aufgabe guten Journalismus zu machen, ihre Aufgabe ist es heute auch gesucht, gefunden und gelesen zu werden. Und ich weiß nicht, wann viele Journalisten aufgehört haben neugierig zu sein und selbst vor Ort sein zu wollen und stattdessen nur noch Agenturmeldungen abschreiben. Wenn Du was erlebt hast, dann schreib es nicht in Dein Tagebuch, sondern erzähl es allen. Dafür brauchst Du heute keinen Verlag mehr. Mach einen Blog. Und wenn Du gut bist, wird es gelesen. Das ist lebendiger und hat mehr mit Journalismus zu tun. Wir müssen also back to the roots, um in die Zukunft zu kommen. Um live auf Sendung zu gehen, brauchst Du heute keinen Ü-Wagen mehr. Dafür reichen ein Smartphone und eine kostenlose App. Fertig.
@Gutjahr über Daten: Wir neigen zur Dämonisierung. Aber Daten sind auch etwas knuffiges und cooles, was wir einsetzen können, um Journalismus besser zu machen. Ich kann warten, bis Neues meinen Job überflüssig macht, ich kann Daten und Tools aber auch einsetzen, um meinen Job zu behalten und damit arbeiten. Viele müssten sich heute nicht mit ihren Inhalten in Geiselhaft von Apple oder Facebook begeben, wenn sie es mal vor fünf Jahren selbst in die Hand genommen hätten.
@Gutjahr über Finanzierung: Warum sind denn Apple oder Amazon so erfolgreich dabei, uns Produkte im Internet zu verkaufen? Doch nicht weil sie ein Kaufhaus online nachbauen, sondern weil das Bezahlen so einfach ist – bei Amazon, im App-Store oder bei iTunes. Zwei Klicks fertig. Und nun versuche mal, Dir eine einzelne Zeitung online zu kaufen. Das ist furchtbar. Und jeder Verlag will eine extra Anmeldung haben. Das macht keinen Spaß und bringt deshalb den Verlagen auch kaum Umsatz. Mit Blendle ist Besserung in Sicht, aber das hätte man auch schon vor fünf Jahren machen können. Jetzt ist es zu spät, weil wir alle schon in der irren Reichweiten-Abhängigkeit von Facebook und Google sind.
@Gutjahr über die Nische: Das Geld liegt für Journalisten im Internet in der Nische. Wenn Du mit einem sehr speziellen Thema mit dem Blog unter den Top 3 in Deutschland bist, dann kannst Du damit auch Geld verdienen. Dann bist Du Experte und man wird für Deine Meinung Geld bezahlen. Wenn Du aber einen Kessel Buntes anbietest, schreibst, was irgendwie alle schreiben und was Du an jeder Ecke kostenlos lesen kannst, wir niemand dafür zahlen. Und: Du musst nicht nur gut sein, Du musst auch darüber reden.

@Gutjahr über Return on Investment: Und wer zahlt mir das? Die Frage höre ich leider sehr oft. Wir fragen schon nach einer Garantie für den Erfolg, bevor wir überhaupt nur einen Finger krumm gemacht haben. Ich habe beispielsweise meine Reisen nach New York zum iPad-Verkaufsstart oder im Arabischen Frühling nach Kairo selbst finanziert. Mittelfristig hat es sich für mich ausgezahlt. Die Frage nach der Bezahlung ist daher vielleicht nicht die erste und beste Frage. Wenn Du gut bist und Deinen Job beherrschst, kommt das Geld schon. Aber nicht sofort. Du musst heute in Vorleistung gehen. Da vermisse ich etwas Risikofreude. Eigentlich geht es uns ja noch recht gut. Geld ist noch da – bei den Öffentlich Rechtlichen, bei den Verlagen auch und in Deutschland sowieso. Für Kreativität und Innovation geht es uns offenbar noch nicht schlecht genug. O.K., es wird glücklicherweise auch in den Verlagen viel experimentiert, aber ob’s noch reicht, um die Kurve zu bekommen, weiß ich nicht.
@Gutjahr über Native Advertising: Das ist Schleichwerbung. Punkt. Du kannst es immer wieder neu benennen, es bleibt Schleichwerbung.
@Gutjahr über Journalisten als Marke: Ich mag den Begriff nicht, aber irgendwie stimmt’s schon. Du musst Dich vermarkten, es macht ja sonst keiner für Dich. Und Eigenmarketing gab’s schon immer. Die berühmteste deutsche Märchensammlung heißt ja nicht „1000 Deutsche Märchen“, sondern „Grimms Märchen“. Unsere Persönlichkeit ist doch das letzte was bleibt, wenn Roboter Texte schreiben und Facebook für die Reichweite sorgt. Im Journalismus orientiere ich mich gerne an Menschen und nicht nur an Geschichten und denen, die sie vermarkten. Und wer sich mit Qualität einen Namen gemacht hat, der wird der letzte sein, der in der Redaktion das Licht ausmacht. Bis dahin sind all die Namenlosen schon weg. Unser Problem in den alten Strukturen ist: Wir bewegen und entwickeln uns zu langsam. Darum bin ich rausgegangen. Unser Publikum ist doch schon weiter als wir Journalisten.
So, das muss reichen. Mehr liest hier eh keiner. Und mehr von Gutjahr gibt’s im Video.
Und jetzt?
Widerspruch oder Zustimmung?
Video mit @Gutjahr
Fotos mit @Gutjahr
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Die Zukunft gehört den Blendern. Interessant. Ich fühl mich da ziemlich verarscht von dem Typen mit seinen „knuffigen, coolen Daten“, mit seinen Geschichten vom I-Pad-Kauf – wo ist da die Nachricht? Was lerne ich daraus? Und dann noch „mehr liest hier eh keiner“ … Wieder Kinderkram, das Ganze.
Nun ja, es sind ja Denkansätze die Gutjahr liefert, und nachdenken kann nie schaden.