
Sind wir jetzt alle Charlie, und wo hat Satire ihre Grenzen? Nach dem blutigen Anschlag auf die Redaktion des Magazins „Charlie Hebdo“ in Paris versuchten die Karikaturisten Achim Greser und Heribert Lenz im Frankfurter Presseclub eine Grenzziehung und die Rückeroberung der Deutungshoheit über ihr Metier. Titanic-Anwältin Gabriele Rittig plauderte dabei aus dem juristischen Nähkästchen. Sie ergründete beiläufig, warum die SPD schneller beleidigt ist als andere Parteien oder warum die Katholische Kirche als „Kinderficker-Sekte“ bezeichnet werden darf.
„Wir wollen uns die Agenda nicht länger von Mördern diktieren lassen“ hatte FAZ-Herausgeber und Presseclub-Präsident Werner D’Inka eingangs kämpferisch gesagt. Es gehe darum, die Freiheit und selbstgesteckte Grenzen der Freiheit auszuloten, so der Moderator der Runde im Westend-Clubdomizil „Palais Livingston“.
Doch sind wir nach Paris alle Charlie? Achim Greser hat Zweifel am „Je suis Charlie“-Hype: „Wir waren schockiert von den Morden an den Kollegen, aber wir haben auch sehr skeptisch beäugt, was da an großartiger Solidarität auf uns als Satiriker zugekommen ist – auch von Menschen, die uns sonst nicht mit dem Arsch angucken.“ Für Greser hat sich eine „wohlfeile Bekenntnisindustrie“ entwickelt.
Sein Partner im Witz Heribert Lenz spricht von „purer Heuchelei“, wenn in Paris der saudische Botschafter mit europäischen Staatschefs demonstriert und zuhause die Meinungsfreiheit in Person des Bloggers Raif Badawi ausgepeitscht wird. Werner D’Inka analysierte immerhin einen „leichten sozialen Gruppendruck“ bei „Je suis Charlie“.
Dass das Pendel des „Betroffenheitswahns“ schnell nach der anderen Seite ausschlägt, daran erinnerte Gabriele Rittig, Rechtsanwältin des Frankfurter Satire-Magazins Titanic: „Als die ersten Mohammed-Karikaturen in dänischen Zeitungen veröffentlicht wurden, hat sich die Katholische Kirche auf die Empörung draufgesetzt, um die Empfindlichkeiten der Muslime als Vehikel zu nutzen damit auch Christen wieder empfindlicher sein dürfen.“
Auch nach den Anschlägen von Paris habe es nicht lange gedauert bis aus der CSU die Rufe nach Verschärfung des sogenannten Blasphemie-Paragrafen kamen, ergänzt Lenz.
Greser & Lenz sind die Besten. pic.twitter.com/KycO8iC9CL
— Lisa Nienhaus (@lisakatharina) 14. Januar 2015
Doch warum kollidieren Satire und Religion so extrem? Grundsätzlich ziele Satire nicht auf den einzelnen Gläubigen, sondern gegen die Institution. Doch wer beurteilt, was zulässig ist und was nicht? „Im Zweifel der Richter“, so Rittig. Das Problem dabei: Gläubige und Kirchen argumentieren mit „verletzten religiösen Gefühlen“. Die seien aber juristisch gar nicht zu fassen und letztlich auch nicht beweisbar – und für die Gegenseite somit nicht zu widerlegen.
Für die beiden Karikaturisten, die in FAZ, Focus und Titanic veröffentlichen, ist dies daher eine Schutzbehauptung. Greser: „Die Argumentation ist ein Trick von machbewussten Besserwissern, um sich einer aufgeklärten Diskussion zu entziehen und sich auf eine unangreifbare Position zurückzuziehen. Dabei hat jeder seine persönlichen Maßstäbe. Mein ästhetisches Empfinden wird etwa von Menschen verletzt, die in der Öffentlichkeit Jogginghosen tragen – wenn es auch noch von Fastfood geformte Frauen sind, dann werden sogar meine erotischen Gefühle verletzt.“
Für die Titanic-Juristin Rittig setzt gut gemachte Satire dort an, wo die Institution den eigenen Maßstäben zuwider handelt und sie dabei ertappt wird – egal ob in Religion, Politik oder Kultur. Ein Beispiel: „Nach den Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche habe das Amtsgericht Berlin-Tiergarten entscheiden, dass sich die Kirche die überspitzte Bezeichnung „Kinderficker-Sekte“ gefallen lassen muss. Rittig: „Das richtet sich nicht gegen den einzelnen Gläubigen oder einen Bischof, sondern gegen die Institution, in der es eine signifikante Zahl solcher Straftaten gegeben habe.“
D’Inka stellte die Frage in den Raum, ob die Gesellschaft hier nicht mit zweierlei Maß messe. Nach dem Berliner Urteil hätten die applaudiert, die sonst Lichterketten bilden, wenn das Wort „Neger“ oder „Zigeuner“ in der Zeitung auftauche.
Vor Religionssatire schütze der Paragraph 166 im Strafgesetzbuch, der fälschlich als Blasphemie-Paragraf bezeichnet werde, nicht, klärte die Juristin Rittig auf. Denn die Beschimpfung von Bekenntnissen sei in Deutschland nur strafbar, wenn sie „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Das komme aber so gut wie nie vor.
Greser und Lenz: Bei der @FAZ_RheinMain geht fast alles, aber gepinkelt werden darf in unseren Karikaturen nicht. #Frankfurterpresseclub — Frank van Bebber (@Frank_vanBebber) 2. Februar 2015
Mit definierten Grenzen taten sich die beiden Kult-Zeichner aus Aschaffenburg in Frankfurt schwer. Jeder habe seine persönlichen Grenzen oder die Redaktion, die veröffentlicht, setze Grenzen. „In Zeichnungen für die FAZ darf nicht gepinkelt werden“, wirft Heribert Lenz schmunzelnd ein und murmelt etwas von „Selbstzensur“. „Geschmacksgrenzen müssen verletzt werden, sonst hat Satire keine Macht“, betont er.
Lenz unterscheidet dabei klar zwischen Journalismus und Satire. „Bei uns ist extra noch der Stempel ,Satire’ drauf. Die Satire lebt von heilloser Übertreibung. Der Journalismus hat im Presserecht einen definierten Rahmen.“

In der juristischen Auseinandersetzung sieht Anwältin Rittig zunehmend die Gefahr, dass die Grenzen des Zulässigen von denen definiert werden, die Satire missverstehen oder missverstehen wollen. „Und das Missverständnis ist multikulturell verbreitet.“
Und wer sind die Missversteher in Deutschland, wollte D’Inka wissen? Rittig: „Politisch hat die Titanic bislang nur von der SPD Probleme bekommen. Engholm, Rau oder Beck – alles Arbeit für mich.“ Dagegen habe sich der ehemalige Hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) nie beschwert – obwohl die Titanic ihn hart rangenommen habe. Ja, und natürlich der Papst-Titel mit der „undichten Stelle“.
Als Personengruppe fühlten sich zudem Schauspieler leicht beleidigt – besonders solche auf dem absteigenden Ast. „Was vielleicht auch die SPD-Problematik erklärt“, fügt Rittig an.
Und wir geht es weiter mit der Satire nach dem Massaker von Paris?
Achim Greser: „Die Religionsfreiheit ist in westlichen Breiten nicht in Gefahr, wohl aber die Meinungs- und Pressefreiheit. Hier können nicht religiöse Gefühle das Sagen haben, sondern demokratisch gewählte Organe, ihre Gesetze und Gerichte. Nix anderes. Satire ist nun mal ein unverzichtbares Korrektiv für die Entwicklung von freien, demokratischen Gesellschaften, die geschmackliche Grenzüberschreitung ist ihr Wesensmerkmal.“
Rittig fasst zusammen: „Der Chefredakteur der Titanic hat jetzt Personenschutz. An der Redaktion fährt häufiger die Polizei vorbei. Der Rest ist eine Frage persönlichen Mutes.“
Die Freiheit der Satire war immerhin an diesem Abend gerettet – auch mangels Counterpart in der FAZ-Titanic-Runde. Greser und Lenz zeichnen in ihrem Aschaffenburger Büro unterdessen munter weiter – haben aber sicherheitshalber ihre Zeichentische nach Mekka ausgerichtet.
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Greser&Lenz nach den Anschlägen von Paris auf Bayern 1
Transparenz-Hinweis: Der Autor ist Mitglied im Frankfurter PresseClub e. V.
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