
Die Anschläge vom 11. September 2001 führten mich wenige Wochen später auf eine Dienstreise zur New Yorker Feuerwehr. Damals mit im Gepäck: 150 000 D-Mark Spenden aus Mittelhessen. Für mich als Journalist und Feuerwehrmann eine Reise mit bleibenden Eindrücken, die auch zehn Jahre danach noch Gänsehaut verursachen.
Sie kamen, um zu helfen, und wurden selbst Opfer: 343 New Yorker Feuerwehrleute starben in und an den einstürzenden Türmen, als sie Menschenleben retten wollten.

Bei den Feuerwehren an Lahn und Dill löste diese Katastrophe in den Tagen nach dem 11. September eine Welle der Anteilnahme für die Hinterbliebenen aus. Feuerwehrmänner und -frauen in den USA sind bei weitem nicht so gut abgesichert wie in Deutschland. Häufig haben sie einen zweiten Job, um ihre Familien durchzubringen und die Ausbildung der Kinder zu finanzieren. Viele der Hinterbliebenen standen nach dem 11. September vor dem Nichts.
Dass es unter Feuerwehrleuten weltweit eine besondere Solidarität gibt, war in den Tagen nach dem 11. September sofort klar. In Mittelhessen verwandelte sich die Anteilnahme schnell in konkrete Hilfe.
Schon wenige Tage nach den Anschlägen erreichten uns in der Redaktion Anfragen von Feuerwehren, wie man gemeinsam etwas tun könne. Zusammen mit dem Nassauischen Feuerwehrverband und dem Feuerwehrverband Wetzlar starteten wir als Regionalzeitung unter dem Motto „Helft uns helfen“ eine bis dahin beispiellose Spendenaktion.
Feuerwehren und Firmen sammelten Geld, Vereine veranstalteten Benefizkonzerte, Spendenboxen füllten sich. In allen Teilen des Verbreitungsgebietes engagierten sich Menschen. Rund 150 000 D-Mark kamen so binnen weniger Wochen zusammen.
Im Dezember reisten Dieter Beetz, damals Vorsitzender des Naussauischen Feuerwehrverbands und Kreisbrandinspektor im Kreis Marburg-Biedenkopf, mein Dillenburger Kollege Martin Heller und ich (finanziert vom Verlag) zur Spendenübergabe nach New York.

Wir kamen in eine Stadt, die noch unter Schock stand, deren Menschen sich aber auch spürbar nicht unterkriegen lassen wollten – besonders in der in Amerika so emotionalen Weihnachtszeit. Ganz New York war ein Meer aus US-Flaggen. An „Ground Zero“ rauch- ten noch die letzten Trümmer. An den Feuerwachen der Innenstadt legten Menschen Blumen nieder, entzündeten Kerzen, hielten inne.
Jeder der Feuerwehrmänner, die wir trafen, kannte einen der getöteten Kameraden. Am Tag vor der Spendenübergabe in New York wurde Firefighter James Pappageorge zu Grabe getragen.
Auch die ranghöchsten New Yorker Feuerwehrleute zählen zu den Opfern: Chief of Department Peter Ganci Jr. und First Deputy Commissioner William Feehan wurden beim Einsatz am World Trade Center getötet. Im Einsatz starb auch einer der beiden katholischen Feuerwehrseelsorger, Pater Mychal Judge. Er gab gerade einem Feuerwehrmann, der von einem aus den oberen Stockwerken herabspringenden Menschen getroffen und getötet wurde, den Segen, als einer der Türme einstürzte und ihn unter sich begrub.
Bei denen, die alles live erlebt hatten, waren wir nun zu Gast: die Männer der Feuerwache South Bronx. Sie waren täglich mit einem Löschfahrzeug (Engine 60) und einer Drehleiter (Tower Ladder 17) sowie einem Notarztwagen am „Big Apple“ unterwegs und fahren mehrere tausend Einsätze im Jahr.
Die Weihnachtsfeier am 15. Dezember 2001 für Kollegen, Ehefrauen und Kinder in der Feuerwache bildete den Rahmen für die Übergabe der Spenden aus Mittelhessen.
Dieter Beetz und Martin Heller überreichten den symbolischen großen Scheck und den viel kleineren, aber wichtigeren Bankscheck an Vertreter des New York Fire Department, darunter auch John Rohr, Präsident der Steuben Association, einer Vereinigung der deutschstämmigen New Yorker Feuerwehrleute. Ich war für die Berichterstattung zuständig. Mit dabei: die erste Digitalkamera, die die Redaktion hatte.
Trotz des großen Unglücks wurde die Weihnachtsfeier in der Feuerwache nicht zur Trauerfeier.

In einer für mich beeindruckenden Solidarität standen Feuerwehrleute und Angehörige sich zur Seite. Gleichzeitig war es amerikanisch bunt: Für die Kinder gab es Popcorn und Zuckerwatte, Santa Claus verteilte Geschenke.
Bei der Spendenübergabe unter dem Sternenbanner betonte John Rohr, dass nicht nur das Geld in dieser schweren Zeit eine wichtige Hilfe sei, sondern dass er und seine Kameraden sowie alle Angehörigen der Feuerwache tief bewegt seien über das große Engagement und die Anteilnahme, mit denen die Menschen in Deutschland und vor allem die vielen Feuerwehrleute dazu beigetragen hätten, dass diese große Summe zusammengekommen ist.
In Amerika werde diese Solidarität, von der die drei Gäste aus Deutschland berichteten, als wichtiger Beitrag zur Festigung der deutsch-amerikanischen Freundschaft und der Solidarität unter Feuerwehrleuten verstanden und wahrgenommen, so Rohr.
Nach dem offiziellen Akt kam im Laufe der Feier nahezu jeder der Gäste auf die drei Besucher aus „old Germany“ zu, schüttelte uns die Hände und bedanke sich im Namen der späteren Empfänger für die Unterstützung.
Wir hatten zudem Zeitungen dabei, um zu zeigen, wie in unserer Heimat über den 11. September berichtet wurde.

Dieter Beetz und ich interessierten uns auch für die Ausstattung der Firefighter in der Millionenstadt. Schnell wurde gefachsimpelt, Martin Heller half beim Übersetzen, wenn uns mal die Worte fehlten.
Dabei wurde uns Feuerwehrleuten aber auch klar, wie nahezu perfekt organisiert und weitgehend vorbildlich ausgestattet das Feuerwehrwesen in Deutschland ist. Angesichts der Garagen und Baracken, in denen hauptamtliche Feuerwachen in den US untergebracht waren, schämten wir uns fast, von Details in Deutschland zu berichten. Ein freiwilliges Feuerwehrwesen, das nahezu in jedem kleinen Ort 24 Stunden am Tag Schutz und Hilfe für die Bürger garantiert, ist in weiten Teilen der Welt unbekannt.
Noch am Abend schrieben wir Texte und mailten Fotos aus New York nach Wetzlar in die Redaktionszentrale. Kein ganz einfaches Unterfangen, da damals High-speed-Internet noch unbekannt war und US- Standards in den technischen Einstellungen manche Hürde bereithielten.

Am folgenden Tag hatten wir die Möglichkeit, den Schreckensort „Ground Zero“ zu besuchen. Eigentlich noch für Besucher gesperrt, öffneten Feuerwehruniformen jedoch Türen und Tore.
Der Trümmerberg war weitgehend abgetragen, die Ruinen der Nebengebäude standen noch wie Mahnmale. Brandgeruch lag in der Luft. Rund um den abgesperrten Bereich waren Bauzäune, Laternenmasten und Gehwege ein Meer aus Blumen, Stofftieren, Fotos und Erinnerungsstücken an die Opfer des Anschlags. Niemand sprach ein Wort.
Als kleines Dankeschön unserer Gastgeber besuchten wir am Abend noch die Crew des Feuerlöschboots „John D. McKean“. Eine nächtliche Fahrt auf dem Hudson River entlang der Skyline von Manhattan war ein unvergessliches Erlebnis – wenngleich der Anlass und Anblick ein trauriger war: Der grell erleuchtete „Ground Zero“ klaffte wie eine offene Wunde an der Südspitze Manhattans.
Im Januar 2009 sollten wir Mannschaft und Boot im Fernsehen wiedersehen: Die „John D. McKean“ war als eines der ersten Boote vor Ort, als der US-Airways-Flug 1549 auf dem Hudson notlandete. Die Bilder vom am Boot vertäuten Flugzeug gingen um die Welt.

Verwaltet und verteilt wurden die Spenden aus Mittelhessen vom Witwen- und Waisen- fonds der „Uniformed Firefighters Association of Greater New York“ (UFA), die sich um die Hinterbliebenen der getöteten Feuerwehrleute kümmert. Mit dem Geld wurden Familien unterstützt oder die Ausbildung der Kinder weiterfinanziert.
Doch auch an Lahn und Dill sollte das Engagement der Menschen für die New Yorker weiter nachhaltig wirken: Führungskräfte des Verlags haben 2002 den gemeinnützigen Verein „Helft uns helfen“ gegründet. Er hat das Ziel, einmal im Jahr die Arbeit engagierter Helfer in Mittelhessen zu unterstützen. Begleitet wird die jährliche Spendenaktion durch Berichte über Menschen und Projekte.
Keimzelle dafür, dass so innerhalb von zehn Jahren rund 660 000 Euro Spenden für Projekte in der Region gesammelt werden konnten, war damals die Solidarität unserer Feuerwehrleute mit ihren New Yorker Kameraden.

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