
Die ARD hat am Abend der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern beste Argumente geliefert, damit die AfD bei der Bundestagswahl 2017 ihren Erfolg von Schwerin wiederholen kann.
Wenn der Lügenpresse-Vorwurf erschallt, dann reagieren Medien meist reflexartig: Sie listen auf, was sie alles berichtet haben und wie fundiert und abgesichert die Informationen waren. Sie kommen kaum auf die Idee, dass damit auch die Nicht-Berichterstattung oder selbst auferlegte Regeln der Berichterstattung gemeint sein könnten. Zumindest nicht bei der ARD.
Als Zuschauer hat man sich schon daran gewöhnt, dass CDU und SPD in den ewig gleichen Kommunikationsschleifen gefangen sind. Die Einen suchen die Schuld beim politischen Gegner, die Anderen feiern sich als Sieger – auch wenn sie gerade krachend Prozentpunkte und Sitze im Landtag verloren haben. Hauptsache noch irgendwie an der Macht. Wieder vier oder fünf Jahre gerettet.
Die, die einem Gabriel, Sellering oder Tauber noch zuhören (können), sehen nur noch inhaltsleere Sprechblasen aufsteigen.
Es gibt ja noch Journalisten, oder?
Dass sich genau an solcher Selbstgefälligkeit der Frust vieler Wähler und Nichtwähler kristallisiert, darauf kommen sie in den Parteizentralen nicht. Selbstreflexion ist keine Einstellungsvoraussetzung im Politikbetrieb.
Doch die Hoffnung stirbt zuletzt und es gibt ja noch Journalisten in Berlin. Hier würde der Zuschauer und Leser etwas weniger Behäbigkeit und einen klareren Blick auf politische Realitäten erwarten – doch Fehlanzeige.
Ein Beispiel, wie sehr auch Journalisten in ihrem eigenen politischen Weltbild gefangen sein können, lieferte die „Berliner Runde“ am Wahlabend in der ARD (hier der Link zur Sendung in der Mediathek). Wer auf die Idee kam, man könne auch hier mit einem Vertreter der Partei sprechen, die das politische System in Meck-Pomm ins Wanken brachte, der AfD also, wurde enttäuscht.
Stattdessen waren nur die Vertreter von CDU, CSU, SPD, Grünen und Linken geladen, also der im Bundestag vertretenen Parteien. Hat man schließlich schon immer so gemacht. Auf die Idee, selbst auferlegte Regeln an die politische Realität anzupassen, kam bei der ARD niemand. Zumindest niemand, der sich damit durchsetzen konnte.
Politiker und Wähler auf zwei Planeten
Und so erlebten die Zuschauer eine absurde Veranstaltung, in der die, die in MV massiv verloren haben, über die redeten, die aus dem Stand rund 22 Prozent holten.
Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Der völlig unbekannte Michael Kellner von Bündnis90/Die Grünen, die Partei ist mit 4,8 Prozent gerade in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Landtag und damit in die politische Bedeutungslosigkeit entlassen worden, darf minutenlang über die AfD (mit 20,8 Prozent zweitstärkste Kraft und vor der CDU) schwadronieren, ohne dass deren bundespolitischer Vertreter in der Runde sitzt.

Und das ist der Punkt, an dem den Zuschauer das Gefühl beschleicht, dass er in seinem kleinen vorpommerschen Dorf und die Politiker sowie Journalisten in Berlin auf zwei ganz unterschiedlichen Planeten leben müssen. Und dann kommt ihm dieses Wort Lügenpresse wieder in den Sinn.
Auch wenn bei der ARD niemand die Kraft für Veränderungen hat, so kam den Verantwortlichen die Situation doch selbst irgendwie komisch vor. Tina Hassel war das Unbehangen schon bei der Anmoderation anzumerken. Auch am Tag danach bemühte man sich um Erklärungen.
Unbeholfene Erklärungen der ARD
Thomas Baumann, stellvertretender Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, sagte am Montag im ARD-Blog, man habe es immer so gemacht, dass in der „Berliner Runde“, in der das Ergebnis von Landtagswahlen aus bundespolitischer Sicht beleuchtet werde, nur die in Fraktionsstärke im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen sind.
Und wie so oft, wenn die ARD versucht sich dem Zuschauer zu erklären, macht sie es nur schlimmer anstatt besser. Auf die Frage, ob es sinnvoll gewesen wäre, dieses Mal die AfD einzuladen, sagte er: „Nein, weil Regeln gelten müssen. Andernfalls hätten wir bei anderen Gelegenheiten die NPD, die Piraten oder den Südschleswigschen Wählerverband einladen müssen.“
Eine Entscheidung mit der Vergangenheit zu begründen und die gegenwärtige politische Realität völlig auszublenden, das muss man als Journalist erstmal hinbekommen.
Dass selbstgemachte Regeln keine Gesetze sind und aus einer völlig anderen politischen Zeit stammen, mag Thomas Baumann nicht in den Sinn gekommen sein.
Die AfD und ihre Wähler – alles Undemokraten?
Stattdessen verbiegt man sich bei der Erklärung mit dem Argument, die „Berliner Runde“ beleuchte das Landtagswahl-Ergebnis lediglich aus bundespolitischer Sicht. Ja, wer bitteschön hat denn – egal ob es einem gefällt oder nicht – in den zurückliegenden zwölf Monaten die Bundespolitik vor sich her getrieben und die politische Agenda maßgeblich bestimmt, wenn nicht die AfD? Dass das auch ohne Sitze im Bundestag geht, das müsste auch die ARD erkennen. Dort scheint man aber diese neuen Brillen aufzuhaben, die einem eine virtuelle Realität vor die Augen projizieren.
Wenn die ARD weiter versucht, rund 21 Prozent der Wähler in Meck-Pomm und demnächst vielleicht auch auf Bundesebene auszugrenzen, betreiben sie nur das Geschäft der AfD.
Jeder Lehrer kann erklären, dass es nicht besser wird, wenn man problematische Schüler im Klassenverband ausgrenzt. Nein, es wird schlimmer. Das läuft in der Gesellschaft genauso.
Naive Eigenpromo von Jennifer Rostock
Und da wirkt so ein Anti-AfD-Song wie von Jennifer Rostock („Aber nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber…“) vor der Wahl zwar irgendwie gut gemeint, nur ist er letztlich naiv und geht völlig am Problem vorbei. Und dass die Band diesen kurz vor dem Verkaufsstart ihres neuen Albums publiziert, lasse ich mal unkommentiert.
Viele Wahlforscher (nicht Journalisten!) erklären, dass der Masse der AfD-Wähler das Parteiprogramm völlig egal ist, ja, sie es noch nicht einmal kennt. Sie sind unzufrieden mit den anderen Parteien. Und zwar mit allen. Die Gewinne-Verluste-Grafik der MV-Wahl macht das deutlich. Alle im Landtag vertretenen Parteien haben verloren. Doch statt sich mit der Ursache des Problems zu befassen, grenzt man die AfD aus und erklärt ihre Wähler für dumm.
Das Konzept der politischen und medialen Ausgrenzung mag bei kleinen extremistischen Parteien funktionieren. Im Fall der verfassungsfeindlichen NPD hat es seine Berechtigung. Aber bei einer 21-Prozent-(Volks)Partei?
Siehe Österreich: Ausgrenzung wird scheitern
Dass das System letztlich scheitert und sich kontraproduktiv selbst potenziert, bekommen wir schon anschaulich in Österreich vorgeführt. Dort sind es keine fünf oder 21 Prozent mehr, sondern rund 50 Prozent, die rechtspopulistisch wählen.
Irgendwann sind die, die ausgrenzen wollen, in der Minderheit. Und dann liebe ARD? Habt Ihr weiter Eure Virtual-Reality-Brillen auf oder seid Ihr schon auf einem anderen Planeten?
PS: Selbst der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) hat den leisen Verdacht, dass in der AfD-Berichterstattung etwas schief läuft: „Ohne Schaum vor dem Mund berichten“
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Sehr gut beobachtet und geschrieben.
Passt leider wie die Faust aufs Auge.